Bleib bei mir - Roman by Elizabeth Strout

Bleib bei mir - Roman by Elizabeth Strout

Autor:Elizabeth Strout [Strout, Elizabeth]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
veröffentlicht: 2014-06-22T22:00:00+00:00


ZWEITES BUCH

Sechs

Laurens Elternhaus war ein zweistöckiges Backsteinhaus in einem Vorort südlich von Boston, wo die Häuser durchweg groß waren und die Rasenflächen aussahen wie gebürstet und gekämmt. Über Tylers Herz legte sich ein Schatten, als er zum ersten Mal in der Diele stand und die prunkvollen Möbel sah, die Perserteppiche, die hohen Fenster mit ihren langen, blassgrünen Vorhängen, die dunkel spiegelnde Fläche des riesigen Dielentischs. Aber Lauren, die die breite Treppe heruntergeeilt kam und ihm die drallen Arme um den Hals warf, war wie ein Sonnenschwall. »Endlich bist du da!«, rief sie, und Mrs. Slatin trat einen Schritt zur Seite, als Lauren ihn auf den Mund küsste. »Ich liebe dich!«, sagte Lauren.

»Lass ihn doch erst mal den Mantel ausziehen«, sagte ihre Mutter. »Möchten Sie einen Drink nach der langen Fahrt, Tyler? Einen Martini vielleicht?« Es war ein Uhr mittags. Tyler nippte an einer Cola, auf einem rosenfarbenen Sofa sitzend, und beantwortete höflich Mrs. Slatins Fragen nach seinem Studium, seinem Jahr bei der Marine, seiner Schwester. »Und der Mann Ihrer Schwester, was macht der?«, erkundigte sich die Frau, eine Hand an ihrer Perlenkette, und beugte sich eifrig vor, ein bisschen, als spräche sie mit einem Kind.

»Tom ist Busfahrer«, sagte Tyler.

»Ach, wirklich?«

Lauren hatte sich die Schuhe abgestreift und saß mit untergeschlagenen Beinen neben Tyler. »Als ich in der Grundschule war, haben wir mal einen Busausflug gemacht«, sagte sie. »Weißt du noch, Mommy? Und ich habe gespuckt.«

»Du hast ständig gespuckt«, sagte ihre Mutter. »Du warst immer ein leicht erregbares Kind. Lecker, die Pistazien, nicht wahr, Tyler? Ich dachte, zum Lunch fahren wir dann nach Boston rein.«

Laurens Schwester, eine große, sehr schlanke junge Frau, kam auch mit. Sie sagte hallo zu Tyler, aber mehr auch nicht, saß nur auf dem Beifahrersitz neben ihrer Mutter und sah aus dem Fenster. Lauren auf dem Rücksitz hielt Tylers Hand. Mrs. Slatins Parfum roch wie Insektenspray vermischt mit Babypuder, fand er – aber er verstand natürlich auch nichts von Parfums. Sie aßen im Restaurant eines großen Kaufhauses, und mit Ausnahme der Ober war Tyler der einzige Mann dort. Er war noch nie in einem solchen Lokal gewesen.

»Lauren hat erzählt, dass Ihr Vater Buchhalter war. Ihre Mutter muss eine sehr tapfere Frau sein – sich so früh schon als Witwe allein durchschlagen zu müssen.«

»Tyler hat sich um sie gekümmert«, sagte Lauren.

»Wir haben uns gegenseitig umeinander gekümmert«, sagte Tyler. Er klappte die schwere Speisekarte zu. »Wie alle Familien«, fügte er hinzu. Er bestellte ein Clubsandwich mit Truthahn, und der Ober servierte es ihm unter einer Silberglocke. Die Frauen aßen Obstsalat, wobei sich Lauren von Tylers Teller Stücke von seinem Sandwich stibitzte.

»Du hast keine Manieren«, rügte die Schwester sie.

»Ach, das ist mir ganz recht«, sagte Tyler. »Ich schaff das sowieso nicht alles allein.« Von seinem Appetit war nicht viel übrig. An einem der Nachbartische zog eine sehr blonde Frau im Alter seiner Mutter ihren Lippenstift nach, während sie dem Ober ein Zeichen machte, dass er ihren Teller abtragen sollte.

»Jetzt flunkern Sie aber«, sagte Mrs. Slatin und lächelte ihn mit diesen warmen braunen Augen an.



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